Alte Erzählungen

Im Pfarrgebiet St.Oswald gibt es die sogenannten "Hauswiesen".
Im Zusammenhang mit diesen sumpfigen Wiesen gibt es eine uralte Erzählung,
nämlich "Die versunkene Kirche" oder "Das tanzende Dorf":

"In der Nähe des Marktfleckens Ysper im Yspertal lag einst ein sehr schönes Dorf.
In diesem wohnten nur wohlhabende Leute.
Ihnen fehlte es an nichts.
Sie konnten sich mit ihrem Geld jeden erdenklichen Wunsch erfüllen.
Die größte Sorge aller Dorfbewohner war, Abwechslung in den Ort zu bringen.
Man wollte nur lustige Stunden und Tage erleben.
Wenn es nur irgendwie möglich war, spielte Musik zum Tanze auf. Man sprach daher nur vom tanzenden Dorf, wenn man den reichen Ort bei Ysper meinte. So geschah es sehr oft, daß die Bewohner dieses Dorfes vor Übermut nicht wußten, was sie tun sollten.
Einmal war nun wieder ein großes Tanzfest angesagt, obwohl im ganzen Yspertal die Menschen in die Kreuzwegandachten gingen - denn es war mitten in der österlichen Fastenzeit. 
Aber das bekümmerte die Tanzwütigen wenig.
Das ganze Dorf, jung und alt, war auf den Beinen.
Es ging dabei sehr lustig zu.
Alle schwangen das Tanzbein. 
Man war in einer großartigen Feststimmung.
Da schickte Gott dem Dorfe die gerechte Strafe.
Als die Festesfreude den Höhepunkt erreicht hatte und die Ausgelassenheit der Tanzenden keine Grenzen mehr kannte, begann der Ort in die Tiefe zu versinken.
Aus den Wiesen rings um das Dorf quoll Wasser, quoll aus vielen Stellen zugleich, bildete Tümpel und Teiche, stieg immer höher.
Bald hatte es die Wiesen überflutet und drang nun in die Gassen des Ortes ein.
Da gellte auch schon in den Tanzsaal der fürchterliche Ruf: "Wasser! Wasser! Das Dorf versinkt!"
Nun ging ein Tumult los. Jeder wollte sich retten.
Es gab aber keine Hilfe mehr. Das Strafgericht Gottes war furchtbar.
Der ganze Ort versank in kürzester Zeit in den hochsteigenden Fluten. Kein einziger Dorfbewohner entkam der Strafe.
Wo dieses Dorf einst stand, findet man noch heute die sumpfigen Wiesen.
Das Volk nennt sie die "Hauswiesen".
Das Turmkreuz der Kirche von Ysper soll angeblich in diesen feuchten Hauswiesen gefunden worden sein.
Vielleicht stammt es noch von der Kirche, die mit dem Ort versunken ist.
Als Wahrzeichen soll es die Menschen daran erinnern, nicht nur der Lust zu leben, sondern auch im Frohsinn nicht auf den lieben Herrgott zu vergessen.


"Armen-Seelen-Luken"

Eine Rarität besonderer Art sind in der Pfarre St.Oswald die zwei noch erhaltenen sogenannten "Armen-Seelen-Luken".
Wirklich gut erhaltene alte Höfe sind heute schon selten zu finden.
Eine besondere Rarität gibt es allerdings in St.Oswald im Waldviertel - nämlich noch einige wenige Häuser mit einer "Armen-Seelen-Luken".
Das ist ein viereckiges Minifensterchen (Größe etwa 20 x 20 cm) über den Fenstern der Wohnstube und dieses wurde nur am Allerseelentag geöffnet, oder, wenn ein Toter in der Stube aufgebahrt lag, bevor er zum Friedhof getragen wurde.
Ein Hof mit einer solchen "Armen-Seelen-Luken" befindet sich im "Urthalhof" in St.Oswald, Urthaleramt 12, sowie im Hause "Grabner in der Rotte Au" (Franz Temper), Stiegeramt 15.
Nach Auskunft des Direktors vom Stübinger Freilichtmuseums (Graz) sind solche "Armen-Seelen-Luken" auch noch bei einigen alten Häusern Steiermarks und Kärnten zu sehen.
So wie im Waldviertel sollten sie auch dort den Seelen der Verstorbenen ein "Ein- und Ausschwärmen" ins Haus und aus ihm heraus ermöglichen.
Das aber ist eine Vorstellung , die es schon vor 4000 Jahren gab:
Auch die Steingräber der Megalith-Kultur haben in die Verschlußplatte ein sogenanntes "Seelenloch" eingeschnitten.
Haben solche alten Vorstellungen als Überlieferung die Zeiten überdauert ?
Oder haben Jahrtausende später die Menschen diesen Gedanken der entkörperlichten Auflösung im Raum ganz neu gedacht?


Literatur: Karl Lukan "Das Waldviertelbuch", Jugend u. Volk Verlag, 1982, Seite 68 f.)

Weiterleiten mit FacebookWeiterleiten mit Twitter